Es ist weich, seidig, kristallklar, farblos, blau oder türkis. Bei Windstille bewegungslos und glatt. Es kann die umliegende Landschaft widerspiegeln. Gletscher tauen, bilden Flüsse, die fallen in die Tiefe, das Wasser fließt weiter und endet zunächst einmal in einem See. Dann gibt es eine Stelle, an der das Wasser übertritt und wieder einen Fluss bildet. So wie der Rio Limay, der aus dem Lago Nahuel Huapi entspringt. Diese Flüsse durchqueren Argentinien und münden in den Atlantik.
Die Seen in Patagonien sind so riesig, man findet die Berge bis zur Spitze in ihnen wieder. Eine überwältigende doppelte Schönheit liegt vor mir, und ich schwimme direkt da hinein. Ihre Tiefe kann erschrecken. Schwimmer haben mir erzählt, dass ihnen schwindelig wird, wenn sie durch ihre Schwimmbrille unter sich schauen, während sie an der Wasseroberfläche hinüberschwimmen über einen Abgrund, den sie als bedrohlich empfinden. Diese Tiefe ist nie schwarz, sie wird immer dunkelblauer, je weiter sich das Licht in ihr auflöst.
Vielleicht gehöre ich nicht zu dieser Erde, aber zu diesem Wasser bestimmt.
Patagoniens Seen sind unbeschreiblich riesig. Gletscherseen, mit einer Tiefe bis zu 600 Metern, auf einer Höhe von beispielsweise fast 800 Metern, so wie der Lago Nahuel Huapi, der den Valdivianischen Regenwald mit der Steppe verbindet. Es sind so viele, so groß und so schön. Manche befinden sich auf beiden Seiten der Grenze zwischen Argentinien und Chile und haben zwei verschiedene Namen. Schneebedeckte Berge umgeben Wasserflächen, die im Sonnenlicht wie ein Silbertablett erscheinen.
Das Wasser ist mineralarm und hat gegen Ende des Sommers eine Temperatur zwischen 12 und 15 Grad. Ich kann jederzeit hinein tauchen, im Badeanzug, für eine kurze Zeit, ungefähr fünf Minuten. Wenn ich richtig schwimmen möchte, habe ich einen Neoprenanzug mit kurzen Ärmeln und Beinen für den Sommer. Wird es kälter, tausche ich ihn ein gegen einen dickeren, der meinen Körper vollständig bedeckt. Eine gute Badekappe sorgt dafür, dass die Haare nicht nass werden. Im Frühling, wenn das Wasser noch viel kälter ist, während der Schneeschmelze, trage ich manchmal Pulswärmer, die ich mir von einem alten Neoprenanzug abgeschnitten habe. An den Handgelenken friere ich so sehr, dass es schmerzt. Mir diesem Schutz kann ich länger im Wasser bleiben.
Die ersten Züge sind noch ein bisschen hektisch. Meine Haut berührt den See, die Kälte des Wassers dringt in mich hinein, die Augen, die Ohren, ja sogar die Zähne im Mund kühlen ab, manchmal tut es weh. Atmen hilft. Gleichmäßig atmen und sich gleichmäßig bewegen. Allmählich dringt Wasser durch den Neoprenanzug. Kleine Rinnsale fließen über die Haut und erwärmen sich. Es ist die Wärme meines eigenen Körpers, die sich zwischen Haut und Neopren breit macht und bleibt. Das fühlt sich gut an. Ich komme vorwärts. Ich schaue bis in die tiefe Dunkelheit des Sees. Aber auch nach oben. Den Blick in den Himmel kenne ich besser. Mir ist warm.
Am Ufer suche ich mir Orientierungspunkte, damit ich meine Richtung beibehalte, nicht zu weit hinausschwimme, um dann rechtzeitig umzudrehen. Beim Kraulen ist es wichtig, dass man von zwei Seiten Luft holen kann, denn schon der kleinste Wellengang kann dazu führen, dass man Wasser schluckt. Es ist sauber, das Wasser. Ich schwimme weiter.
Ich bin allein im Wasser. Und diese tiefe Erfahrung des Alleinseins verwandelt sich in etwas Ganzheitliches. So ganz wie ich mich selbst spüre, spüre ich das Wasser, die Sonnenstrahlen, die um mich herum eintauchen, die prickelnden Bläschen unter Wasser, den Wind beim Auftauchen im Gesicht und meinen Herzschlag. Was ich aber am stärksten spüre, was aus meiner eigenen Tiefe kommt und sich über meinen Körper hinaus ausbreitet, ist dichte Wärme, eine so wohltuende trockene Wärme, die ich selber bin, das bin ich selbst.
Ich schwimme und schwimme, Arme und Beine bewegen sich von allein, Gedanken lösen sich auf, der Körper schwimmt in Leichtigkeit hinein. Der See hat mich aufgenommen, trägt mich ein kleines Stück, eine kleine Strecke im Vergleich zu seiner immensen Größe. Wenn ich meinen Kopf aus dem Wasser tauche und Richtung Sonne schwimme, sehe ich funkelnde Sterne auf dem Wasser, das reflektierende Sonnenlicht tanzt auf einer blauen seidenen Oberfläche, kleine sich brechende Wellen haben eine leuchtend weiße Schaumkrone. Und ich bin mittendrin.
Die Wärme bleibt, solange es mir im Wasser gut geht. Ich schwimme zurück, bevor es mir kalt wird. Ich suche das Ufer, spüre bald den Grund unter meinen Füßen und gehe die letzten Schritte bis zu meinen Sachen. Wenn ich dann in meine Kleider steige, am besten in Wollsocken und einen Wollpullover, dann spüre ich noch eine ganze Weile meine eigene Wärme, wie sie sich in mir ausbreitet und mir gut tut. Ich schaue noch einmal auf den See, dann gehe ich nach Hause.
Viele meiner Wanderungen gehen erst einmal an Flüssen und Bächen entlang, manchmal an Wasserfällen vorbei in die Höhe zu Lagunen oder Gletschern. Beim Gehen halte ich Ausschau nach Stellen, in denen man ins Wasser steigen kann, einfach so, nur kurz eintauchen und abkühlen und wieder raus. Bäche bilden kleine Bassins, und da wo die Strömung nicht zu stark ist, gehe ich einfach mit.
“Wir ließen uns mit der Strömung flussabwärts treiben….Später stand ich noch eine Weile am Wasser. Wenn genau vor mir, im vorbeifließenden Wasser, die Gegenwart ist, kann der Fluss dann meine Vergangenheit mitnehmen? Oder ist es die Zukunft, in die er fliesst? Und woher kommt er? Liegt die Vergangenheit flussaufwärts Richtung Quelle? Kann meine eigene Vergangenheit an mir vorbeifließen?”
Eintauchen in eiskaltes Wasser geht auch im Herbst und im Winter. Es ist immer erfrischend und belebt die Seele. Warme Kleidung und ein guter heißer Tee nach dem Bad gehören dazu und wenn ich dann noch eine warme Stube habe, bin ich glücklich.