So wird es aussehen, das Buch. Es erscheint im März 2022 in Deutschland. Im Moment befindet es sich im Layout, dann wird es noch einmal korrigiert und Anfang des Jahres 2022 wird es gedruckt. Spannend ist es schon. Und viel muss ich derzeit nicht tun.
Es tut sich von selbst. Ich bin gerade wieder in Bariloche und besuche alte und neue Orte. An den alten Orten, von denen, ich auch im Buch schreibe, erscheint mir manchmal die Vergänglichkeit. Man geht den gleichen Weg, aber einiges ist nicht mehr so, wie ich es beschrieben habe. Ein Steg über einen Bach ist zerstört, ich muss durchs Wasser waten und der Hüttenwirt ist nicht mehr da. Einen Moment lang stimmt es mich traurig, aber dann wird mir klar, dass ich mit meinen Aufzeichnungen nichts in Stein meißele, dass es Momentaufnahmen sind, die beim Lesen aber vielleicht doch eine Langzeitwirkung haben können, Momentaufnahmen, die im Gedächtnis bleiben. Dieser Gedanke gefällt mir.
Es passiert beim Gehen oft etwas Unvorhergesehenes, etwas ganz anderes als erwartet. Und meistens dann, wenn ich allein unterwegs bin. Ich öffne mich noch mehr der Umgebung und den Menschen, die mir begegnen. Und die bringen mich dann wieder zu neuen Themen. Und vielleicht sogar wieder zu einem neuen Buch. Mal sehen.
Gestern war wieder einmal nach mehreren stürmischen Tagen der Strom ausgefallen. Das passiert öfter. Nur als er zurückkam und alle anderen wieder Licht hatten, blieb es bei uns dunkel. Das war komisch. Also riefen wir am Morgen Roberto an, der uns mit solchen Dingen hilft. Und er hatte schon die Vermutung, dass der zurückgekommene Strom etwas in den Leitungen zerstört haben musste. Während er draußen vor dem Haus arbeitete, kam sein Sohn Valentino zu mir in die Küche. Es war Samstag morgen und er hatte keine Schule. Ich gab ihm eine Erdbeere, die ich gerade gewaschen hatte. “Weisst du, wer das beste Tiramisu macht?”, fragte er mich. Ich hatte keine Ahnung. “Meine Tante, und sie mag auch die roten Äpfel lieber als die grünen”. Während er mir das erzählte, öffnete er eine Küchenschranktür nach der anderen und als er beim Kühlschrank ankam, fragte ich ihn, warum er das tat. “Ich schau nach, ob sie alle funktionieren.”
“Ach so.”
Als er durch unser Wohnzimmer ging, wunderte er sich über ein totes Tier, was auf dem Stuhl lag und er fragte mich, wo denn der Kopf sei. Was er gesehen hatte, war ein Kaninchenfell.
Und dann fiel ihm noch auf, dass wir keine argentinische Flagge im Haus hatten. Ich wollte ihm noch erklären, dass ich Deutsche sei, aber dann dachte ich, `war das wirklich wichtig?`
Plötzlich wurde ich ganz hellhörig. Valentino hob seine Zeigefinger und berichtete mir : “Weisst du, ich kann sprechen, ohne dass die anderen mich hören?”
“Wie machst du das?”, fragte ich ihn. “Das passiert in meinem Gehirn”, sagte er und klopfte sanft mit seinem Zeigefinger an seine Schläfe.
“Ach so, Valentino, das nennt man Denken.” war meine Antwort.
“Nein”, sagte er prompt. “Ich höre meine Stimme ganz deutlich, denken ist anders und macht keine Geräusche”. Ich war überrascht. Valentino hatte mir in diesem Moment erklärt, wie es geht, wie Schreiben geht. Schreiben ist das auf Papier zu bringen, was ich leise, in meinem Kopf spreche. Es sind nicht meine Gedanken, es ist meine Stimme, das ist ein Unterschied, das wurde mir in diesem Moment ganz klar.
Denken folgt schon einem Konzept, einer gelernten Logik, aber was Valentino meinte, ist ursprünglicher, assoziativer, ist nicht immer folgerichtig. Seine Stimme im Kopf lernt doch gerade erst zu denken.
So hatte ich angefangen, vor zwei Jahren auf meine Stimme zu hören und alles aufzuschreiben. Auch das, was in der Gedankenlosigkeit passiert. Aus diesen Themen wurden Kapiteln und aus Kapiteln ein Buch. Klingt so einfach. Es war auch wirklich nicht so kompliziert.
Ich wollte Valentino noch die kleinen Ibisküken im Garten zeigen, aber er hatte eher Interesse für unseren Wasserturm.
Dann rief sein Vater ihn. Roberto konnte die defekte Stelle des Kabels nicht finden, hatte aber fürs Wochenende für uns ein Ersatzkabel gelegt. Das war gut so. Ich verabschiedete mich von den beiden, ging in die Küche, kochte mir einen Tee und lud den Akku meines Computers wieder auf, um zu schreiben.
Bariloche, November 2022